Eisvogel

Erholung mit Eisvogel - Ein Reisebericht vor der Haustür

Ein verlängertes Wochenendes auf unserem Kajütboot Octopus (24.-27.8.2001) im Südosten Berlins

So 20 Uhr: Die Motorengeräusche auf dem Seddinsee sind weitgehend verstummt. Ein heißes Wochenende mit Temperaturen um 34 °C und außerordentlich regem Badebetrieb und Bootsverkehr klingt aus. Die gerade untergegangene Sonne hat den Himmel leicht rötlich angehaucht. Zu hören sind die Bettelrufe junger Haubentaucher, in der Ferne bellt ein Hund. Die gibt es im benachbarten Gosen reichlich. Zwei Höckerschwäne umschwimmen Octopus in der Hoffnung auf ein zusätzliches Abendbrot. Da ertönt ein langgezogenes schrilles "tieht" und eine anschließende Folge aus 2 verschiedenen Tönen. Bruchteile von Sekunden später sehe ich den Eisvogel über die Seerosenbucht in meine Richtung fliegen. Nun ertönen wieder Motorengeräusche. Zwar sind die meisten Berliner Boote um diese Zeit schon weg, aber manche Nachzügler fahren noch vorüber. Außerdem kommen jetzt die Angler in ihren motorisierten Ruderbooten. Das Hundebellen in Gosen wird zu einem vielstimmigen Chor. Ein Schwarzspecht ruft von der anderen Seeseite. Der Mond spiegelt sich im Wasser. Die besinnliche Atmosphäre lässt die gewonnenen Eindrücke Revue passieren, und ich mache mir Notizen, um einiges davon festzuhalten. Fotos haben wir reichlich gemacht, einige davon werden wir später hier veröffentlichen.


Vor allem möchte ich die Eisvogel-Beobachtungen schildern, weil diese neben Erholung "pur" unsere Tour prägten. Startpunkt war wie immer die Gemeinschaftssteganlage der Kleingärtner vom Niederlehmer Werder am Sellenzugsee südöstlich von Berlin. Unser erstes Ziel war nur einige Hundert Meter vom eigenen Steg entfernt. Ich wollte die künstliche Nisthilfen im Blick haben, die ich gemeinsam mit anderen Gartenfreunden im März dieses Jahres errichtet hatte. Im zeitigen Frühjahr konnte man die beiden von uns ausgebauten Wurzelteller und die lehmgefüllte Hohlstammkonstruktion vom Steg aus erkennen und somit das Treiben der Eisvögel aus der Ferne beobachten. Mit zunehmender Vegetation verdeckte Laub die zuerst angenommene Brutröhre, während Schilfwuchs die beiden anderen Angebote unsichtbar machte. Wir lagen 3 Stunden vor Anker und es tat sich nichts, gar nichts. Also doch keine dritte Brut wie erwartet ? Warum sollte sie eigentlich, immerhin haben wir schon Ende August ? Erstens ist das für Eisvögel nicht ungewöhnlich. Zweitens war ich noch während der Fütterung der Nestjungen von der zweiten Brut am 5. August Zeuge eines ganztägig intensiven Balzverhaltens, wie ich es zuvor nur Anfang April erlebt habe. Die Partner riefen häufig, wobei sie ein recht abwechslungsreiches Repertoire an Lauten zeigten und sogar Höhenflüge bis in die Baumwipfel vornahmen. Deshalb rechnete ich mit einer Schachtelbrut, wie es für die Art durchaus typisch ist. Das Weibchen legt hierbei Eier in ein neues Nest und beginnt zu brüten, während das Männchen allein die Nestjungen der aktuellen Brut füttert. Während unserer Anwesenheit hätte es eine Brutablösung geben müssen, und die ist normalerweise am Ruf zu erkennen. Der ankommende Vogel pfeift vor dem Nest und wartet, bis der Partner herauskommt. Mit den Ohren kann man die Brutablösung daher wohl kaum verpassen.

Die eigentliche Tour führt uns zunächst zum Seddinsee, wo mir in unmittelbarer Nachbarschaft zum Oder-Spree-Kanal zwei Wurzelteller im Gedächtnis haften geblieben sind. Diese wollte ich mir endlich mal aus der Nähe ansehen. Wir ankern und schwimmen hin. Der größere von beiden ist durchlöchert, aber falls hier ein Eisvogel am Werk war, dürfte er keinen Erfolg gehabt haben. Der Wurzelteller ist nach hinten einfach nicht tief genug. Der kleinere der beiden Wurzelteller ist ziemlich verfilzt, aus der Nähe wirkt er nicht einladend, er enthält auch keine Probebohrungen. Der Erfolg am Sellenzugsee gibt Anlass, eine Nisthilfe im großen Wurzelteller ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Dieser ist dank der erheblichen Fläche und der direkten Lage am Wasser geradezu prädestiniert, den Eisvogel anzuziehen. Der Einbau einer Kunströhre erscheint mir auch unter dem praktischen Aspekt der Realisierung gut möglich. Landseitig führt ein Wanderweg am Baum vorbei, auf dem das Material, vor allem der benötigte Lehm, auch transportiert werden kann. Allerdings besteht die Gefahr der Störung durch Wanderer, da der umgekippte Baumstamm zum Balancieren reizt und Hunde hier ins Wasser können.
 

Alle Fotos lassen sich durch Anklicken einzeln vergrößern. Weitere Bilder folgen zu einem späteren Zeitpunkt.
idealer "Rohbau" für eine Eisvogelnisthilfe
laufende Schilfschutzmaßnahmen
künstliche Sandbank mit Schilfanpflanzung, dahinter tiefe Rinne
Blick von der Seeseite auf die Neuanpflanzung
Mein Optimismus rührt von den Schilfschutzmaßnahmen, die derzeit bis fast an den kleineren der beiden Wurzelteller heranreichen und den Uferbereich sowohl landseitig mittels Zaun als auch wasserseitig durch Palisaden schützen. Meine Überraschung ist perfekt, als ich mir die Wasserbaustelle aus der Nähe betrachte. Vielfalt durch kleinräumige Strukturen entsteht hier durch Anlegen künstlicher Sandbänke mit Neuanpflanzungen von Schilf einerseits und Ausheben tiefer Rinnen andererseits. Im Innern des Schilfgürtels entstehen somit kleine freie Wasserflächen. Mit einer Unterwasserkamera schwimmen wir von Octopus auf die "Baustelle" und machen Aufnahmen. Ich bin begeistert von diesem Konzept und werde bald nur wenige 100 m weiter das Zwischenstadium einer "älteren" Schilfschutzmaßnahme zu sehen bekommen, denn Jörg fotografiert auch hier, während ich auf Octopus bleibe. Er schreckt zahlreiche Bleßrallen auf, die von der Wasserseite her gar nicht zu sehen waren. Die vertieften Rinnen zwischen dem schilfbewachsenen Ufer und der künstlichen Sandbank mit Schilfanpflanzung werden offenbar gut von den Bleßrallen angenommen. Für den vorgeschlagenen Eisvogelschutz am oben genannten großen Wurzelteller bietet sich die Erweiterung des landseitigen Zaunes an. Wasserseitig ist eigentlich hier nichts zu tun, da hier kein Schilf vorhanden und demnach auch nicht zu schützen ist. Gelegentliche Störungen durch Boote werden eher zurückgehen, da die Attraktivität für das Anlegen von Booten mit der Verlängerung des Zaunes sinkt.

Weiter geht es über den Seddinsee zu dessen Nordteil. In unmittelbarer Nähe der 2 markanten Bäume im Wasser, die man fast als 2 kleine Inseln ansehen kann und jedermann anziehen, ankern wir. Wir haben einen idealen Blick auf das Gosener Naturschutzgebiet, blinzeln gegen die Sonne zum Berliner NSG am anderen Ufer des Seddinsees mit den kormorangeschädigten Bäumen, sehen die Ausfahrt zum Gosener Kanal oder je nach Blickrichtung auch eine freie Wasserfläche. Mehr Vielfalt ist nicht möglich. Es sind unglaublich viele Erholungssuchende am Wasser. Während die meisten größeren Boote den Seddinsee entlang der Fahrrinne durchqueren, sind viele Ruderboote und Kanus der Bootsausleihe Gosen direkt hier. Ständig herrscht Badebetrieb an den beiden inselartigen Bäumen, die auch zum Festmachen der Boote genutzt werden. Auch wir baden und machen das kleine aufblasbare Paddelboot startklar, welches wir dann abwechselnd nutzen.

Ich freue mich auf den kühlen Morgen und werde nicht enttäuscht. Im Gegenteil, ich erlebe eine Überraschung. Geweckt werde ich gegen 6.30 Uhr von einem unbekannten klirrenden Geräusch, welches mit viel Fantasie entfernt an einen Girlitz erinnert. Ich bin hellwach und sehe nichts. Gleich ist es wieder still. Ich glaubte, das Geräusch bereits gestern abend einmal gehört zu haben. Doch inmitten der menschlichen Geräuschkulisse war es damals erst recht nicht einzuordnen. Plötzlich sehe ich um 6.50 Uhr einen Eisvogel im nahen Gebüsch. Er zeigt sich nicht lange sondern verschwindet in der Deckung der Blätter. Das reicht, ich weiß jetzt, wonach ich suche. 10 Minuten später sitze ich im Schlauchboot. Es "klingelt" wieder wie vorhin. Gleich daneben höre ich "normale" Eisvogelrufe. Sicher habe ich gerade eine Fütterung verpasst, aber ich konnte die Stelle orten. Ich habe Glück und sehe in einem kahlen Gebüsch einen Eisvogel in ca. 70 cm über der Wasseroberfläche sitzen. Wegen Gegenlicht fahre ich ein Stück weiter und postiere mich in den Schatten eines Baumes. Von hier aus sehe ich einen zweiten Eisvogel ca. 20 cm vom ersten entfernt und etwas erhöht sitzen. Mit dem Fernglas erkenne ich, dass bei beiden die weißen Abzeichen nur ansatzweise zu erkennen sind. Dieselben sind nicht nur klein sondern besitzen auch noch keinerlei Leuchtkraft. Dagegen schillert der Rücken schon in voller Pracht türkis. Brust und Flügel kommen in der Färbung den Altvögeln nahe, sind aber bei beiden Jungvögeln recht unterschiedlich. Der zuerst entdeckte Vogel wirkt insgesamt fahler. Den zweiten könnte man für einen Altvogel halten, wären da nicht die rudimentären weißen Abzeichen und das Verhalten. Beide Vögel verbringen die nächste Stunde mit Nichtstun. Sie versuchen weder zu fischen noch betreiben sie Gefiederpflege. Sie sitzen nicht etwa mit schräg nach unten geneigten Kopf, wie man es sonst vom nahrungssuchenden Eisvogel kennt, vielmehr schauen sie eher nach oben, recken ab und zu den Kopf nach vorn, halten Blickkontakt zueinander und drehen sich gelegentlich um. Als sich ein Höckerschwan in der Nähe laut klatschend aus dem Wasser erhob, höre ich die mir nun schon bekannten klingelnden Geräusche. Sonst passiert gar nichts. Nach einer reichlichen Stunde ohne Fütterung paddelte ich zurück zu Octopus, um für uns Frühstück zu machen. Erst 8.40 Uhr deutete lautes Klingeln auf eine Fütterung hin. Eine kleine Paddeltour am späten Vormittag zeigt, dass die jungen Eisvögel die oben genannte Stelle verlassen haben. Einem futtertragenden adulten Eisvogel begegne ich im sogenannten "Großen Strom". Der Name drückt das genaue Gegenteil der Wirklichkeit aus, denn es handelt sich um einen naturnahen Gewässerabschnitt im Auwald, der nur von kleinen Sportbooten befahren werden kann. Die Entfernung zur vorangegangenen Eisvogelbeobachtung beträgt lediglich 1km Luftlinie.

Am Nachmittag durchqueren wir den Gosener Kanal, den Dämeritzsee, die Löcknitz, den Werlssee und den Peetzsee. Angesichts des hochsommerlichen Wetters ist überall ausgesprochen viel Betrieb. Werlsee und Peetzsee sind ausgesprochenen Badeseen mit hervorragender Wasserqualität und einladenden Sandstränden. Diese Seen sind längst kein Geheimtipp mehr für die Berliner Bevölkerung. Bis Alt-Buchhorst am Ende des Peetzsees führt eine Route der Berliner Stern- und Kreisschifffahrt. Sie ist unbedingt empfehlenswert, zumal der Wechsel von engen Fluss- und Kanalverbindungen (einschließlich Neu-Venedig an der Müggelsspree) und verschiedenartigen Seen der Tour einen besonderen Reiz verleihen. Wir fahren noch ein Stück weiter zum Möllensee, der am Ende der Seenkette mitten im Wald liegt. Er ist weniger verbaut, es gibt keine ausgedehnten Badestrände, allerdings ist das Wasser auch nicht so herrlich klar.

Wir ankern ganz in der Nähe des Kanals zum Kiessee, um später mit dem Paddelboot hineinzufahren und nach dem Eisvogel Ausschau zu halten. Ostern 1994 (3. April) konnten wir hier 2 Kraniche und ein Pärchen Eisvögel beobachten. Letzteres saß auf einem umgestürzten Baum, der eine gute Sitzwarte bot, die weit in den Kiessee hineinragte. Entsetzen packt mich, als ich nach so langer Zeit in diese liebgewonnenen Gegend zurückkomme. Über den schmalen Kanal knatterten Motorboote und hüllten mich in Schwaden stinkender Gase ein, die mir fast den Atem nahmen. Damals im April hätte ich mir nicht vorstellen können, dass hier überhaupt Motorboote durchfahren können und dürfen. Enttäuscht war ich vor allem auch vom eigentlichen "Kiessee", der am Ende der Strecke liegt und voll und ganz für Erholungszwecke, vorzugsweise von Jugendlichen genutzt wird. Hier sind Campingplätze, Bungalows und leider auch eine größere Steganlage. Obwohl die Entfernung bis zum Möllensee nur knappe 2 km beträgt, nehmen alle Ruderboote, denen ich begegnet bin, ihren Motor in Betrieb. Die Außenbordmotoren sind die schlimmsten, die ich je erlebt habe. Wahrscheinlich sind sie alle vom Schrottplatz eingesammelt worden. Trotz der massiven Störungen stellt sich das eigentliche Ziel meines Ausfluges ein: An fast derselben Stelle wie 1994 sehe ich einen Eisvogel übers Wasser fliegen und sich auf einer Sitzwarte niederlassen. Da ruft ein Partner ganz in der Nähe. Der Erholungsdruck wird offenbar toleriert, zumal es Ausweichplätze gibt.

Die Nachtruhe wurde nachts um 4 Uhr von einer Gruppe Jugendlicher massiv gestört, die offenbar im angetrunkenen Zustand lärmend baden gingen. Die Morgendämmerung versöhnte mich wieder mit meiner Umgebung. Vor mir liegt ein spiegelglatter See, den ein leichter Nebelschleier sanft bedeckt. Angesichts der Ruhe, der Spiegelungen und der verschiedenartigen Lichteffekte fühle ich mich wie in Norwegen. Damals im Urlaub hatten wir einen See wie im Bilderbuch fast für uns allein. Der See war ohne Angabe des Namens oder des Ortes im Reiseprospekt werbewirksam im Großformat abgebildet. Wir hatten einfach das Glück, dass unsere Ferienwohnung exakt dort lag, wo das Katalogfoto entstanden ist. Die nun aufgehende Sonne versetzt mich bald wieder in die Gegenwart. Zunächst strahlt sie die höhergelegenen Bäume des gegenüberliegenden Ufers an, um schließlich das ganze Ufer zu erhellen. Wir selbst bleiben noch eine ganze Weile im Schattenwurf der Bäume, was mich diesmal nicht stört, denn unser Uferbereich gehört zum Revier des Eisvogels. Zwischen 7.20 Uhr und 8.30 Uhr sehen wir ihn am Ufer entlang fliegen oder auch in den Kanal einbiegen, wo er einige Minuten später wieder herauskommt.

Nach dem Frühstück riskiere ich es, nochmals in den Kanal hineinzupaddeln, welcher sich diesmal zumindest auf dem Hinweg still und ruhig präsentiert. In der Mitte des Kanals höre ich um 9.20 Uhr einen Eisvogel und sehe ihn an gleicher Stelle eine Stunde später auf meinem Rückweg. Leider kommt gerade jetzt ein Motorboot, dem ich ausweichen muss, wobei ich den flüchtenden Eisvogel sofort aus den Augen verliere. Ein einziges Motorboot beeinträchtigt hier das Naturerlebnis schon überdimensional und wirkt hier mitten im Auwald völlig fehl am Platz. Octopus gewährte uns immerhin noch mehrere Blicke auf den Eisvogel, der sich 11.30, 12.30, 13.50 jeweils rufend an der Kanalmündung in den See bemerkbar machte, um dann ganz in unserer Nähe im Blätterwald überhängender Zweige auf seinem "unsichtbaren" Ansitz dem Tagesgeschäft nachzugehen. Vielleicht gefällt ihm hier eine Putzwarte, jedenfalls habe ich ihn nicht beim Fischen beobachten können.

Nun bleibt uns noch eine Nacht und diese verbringen wir nochmals im Nordteil des Seddinsees. Wir ankern um 16.30 Uhr an gleicher Stelle wie 2 Tage zuvor. Die Aussicht auf den kommenden Montag sorgt für relative Ruhe, denn die meisten Erholungssuchenden müssen jetzt nach Hause. Vom Octopus aus höre ich 19.10 Uhr Ruffolgen mit "Tieht" und "Tii-tü" eines adulten Eisvogels, um 20 Uhr fliegt ein prächtiger Vogel in meine Richtung, um in überhängenden Zweigen zu verschwinden. Der Abend ist ruhig, von Jungvögeln bemerke ich nichts. Im Dunkeln höre ich noch einen Flußuferläufer, das war vorgestern ebenso.

Ein Flugzeug weckt mich in der Nacht, und ohne mich zu ärgern gehe ich an Deck, weil ich gespannt auf den Sternhimmel überm Wasser bin. Wegen Mondschein sind zwar nicht so viele Sterne zu sehen wie erwartet, aber ich freue mich, mein Tierkreiszeichen - den Widder - erkennen zu können.

Um 5.50 Uhr spüre ich, dass der Morgen graut und stehe auf. Ein leichter rosa Schimmer zeigt sich an der Stelle, wo die Sonne aufgehen wird. Ich schwimme ein kleines Stück dem Morgenrot entgegen, wobei ich die besondere Stimmung um mich herum einfange. Zunächst sind keinerlei Laute zu hören. Der erste Laut kommt von einem adulten Eisvogel. Er ruft häufiger als am vorangegangenen Abend, nämlich 5.55, 6,05, 6.15 und 6.23 Uhr jeweils von der uns vorgelagerten Insel. Gegen 6 Uhr sind kurzzeitig zu hören: Zaunkönig, Zilpzalp und Schwarzspecht, gefolgt von einem krähenden Hahn und einigen Hunden aus Gosen, die sich rasch wieder beruhigen. Die Bedrohung des Idylls kommt aus der Luft. Ein in Schönefeld startendes Flugzeug stört die Ruhe, ich erinnere mich, in der sonst sehr stillen Nacht hin und wieder ein Flugzeug gehört zu haben. Während ich wie am Vortag die Morgenstimmung genieße, lasse ich mir meinen Kaffee schmecken und habe es nicht so eilig, ins Paddelboot zu kommen. Ich schaue den Höckerschwänen und Bleßrallen bei der Nahrungssuche in der Seerosenbucht nahe den beiden Bauminseln zu. Die einzigen "Krachmacher" sind zwei unentwegt bettelnde junge Haubentaucher. Kein Angelkahn ist weit und breit zu sehen, was mich echt verwundert, kein einziges Motorengeräusch ist zu hören. 6.40 Uhr kräht ausdauernd ein Hahn. Irgendwo in der Ferne glaube ich, den Verkehr auf einer Autobahn zu hören und verstehe nicht, wo die sein soll, denn einzelne Autos wie auf einer weniger befahrenen Straße kann ich nicht heraushören. Später kommen andere Zivilisationsgeräusche hinzu, und Jörg hat die Idee, dass diese mit dem Palisadenbau an der weiter oben gelobten Stelle zusammenhängen. Die Vermutung wird bestätigt, als wir später heimwärts daran vorbeifahren. Angesichts des guten Zwecks versöhne ich mich mit dem Lärm. Auch begeistert mich die Perfektion, mit der unter Verwendung schwerer Technik Baumstämme filigran aneinander gereiht in den Boden gerammt werden. Zunächst einmal bleiben wir noch eine Weile bei den zwei inselartigen Bäumen. Ein Augenweide ist es, hier 2 bis maximal 8 Haubentaucher zu beobachten, die ausgiebig mit ihrer Gefiederpflege beschäftigt sind. Sie demonstrieren, dass dies ihr Lieblingsputzplatz ist. 6.47 Uhr ertönt das nächste Flugzeug. Kein Vergleich mit der zu erwartenden Flugdichte nach Ausbau von Schönefeld ! Fast gleichzeitig erscheint die eckige Silhouette eines Schwarzspechtes, der genau wie vor 2 Tagen aus nördlicher Richtung kommend sein Revier am Berliner Ufer abfliegt. Außerdem sind von dort Graureiher-Rufe zu hören. Bevor ich mich um 7.15 Uhr ins Paddelboot setze, halte ich Ausschau nach den Kormoranen, die ich im Gegenlicht des gestrigen Abends auf ihren vollgekoteten kahlen Bäumen nicht zählen konnte. Ich sehe keinen einzigen, dafür aber einen Seeadler auf der Spitze eines dieser Bäume, wobei sein kräftiger Schnabel in der Morgensonne leuchtet. Noch kann ich nicht erkennen, ob es sich um einen Altvogel oder einen Jungvogel handelt. Im Schilf betteln junge Rohrsänger. Der Gosener Freizeithafen wird von Schwalben verziert, die auf den Segelleinen sowie auf den Bootskörpern ihrem Schwatz nachgehen. Als sie aus allen Teilen des Hafens auffliegen, schätze ich rund hundert Rauchschwalben, obwohl ich die doppelte Zahl sehe, denn die Spiegelung im Wasser ist nahezu perfekt. Einige Mehl- und Uferschwalben sind mit von der Partie.

In der Hoffnung, Eisvögel zu entdecken, fahre ich ein Stück den "Großen Strom" entlang. Kurz hinter der Straßenbrücke kehre ich um, da dort eine dichte Schicht von Entengrütze dem Eisvogel die Sicht auf Fisch und mir die Sicht auf Hindernisse nimmt. Auf meinem Rückweg fliegt um 8.30 Uhr ein prächtig gefärbtes Exemplar mit auffälligen weißen Abzeichen in nur 3 m Entfernung vor mir übers Wasser. Kurz darauf sehe ich ihn am Ufer entlang fliegen. Er landet in einem überhängenden Gebüsch an einem illegalen Steg. Hier liegt ein reinweißes neues Kajütboot mit dem Kennzeichen B-BH-673, dessen Anblick geradezu wehtut. Zwar ist es nicht das einzige Boot, welches zur Entwertung der naturnahen Uferzone beiträgt, aber es ist mit Sicherheit kein Rudiment aus alten Zeiten mit Anspruch auf ein wie auch immer geartetes Gewohnheitsrecht. Die benachbarten illegalen Stegen beherbergen Ruderboote, 2 Motorboote und 2 Segelboote. Es kommt aber noch schlimmer. Auf der anderen Seite des Gosener Freizeithafens liegen direkt im Naturschutzgebiet weitere 7 große Boote am Ufer verteilt. Unter völliger Missachtung des Hinweisschildes zur Aktion "Rettet die Trauerseeschwalbe, durchfahren die Boote die komplett mit Seerosen bewachsene Bucht. Von Land aus kommt man nicht etwa direkt von Grundstücken an die Anlegestellen. Nein, zunächst muss ein Auwaldrest durch Trampelpfade "erschlossen" werden. Ist diese Dreistigkeit im Naturschutzgebiet eigentlich noch zu überbieten ? Ich suche nach einer Erklärung. Vielleicht handelte es sich vormals "nur" um Angelkähne mit Ausnahmegenehmigungen. Aber wer kontrolliert schon, welche Begehrlichkeiten jegliche Ausnahmen nach sich ziehen ? Wie zum Hohn fliegt ein Eisvogel laut rufend über diese Bucht, um sich hinter einem dieser Stege niederzulassen. Sicher wird der Juwel unter den Vögeln einer gelegentlichen Störung ausweichen können. Aber wie gelingt es, die wenigen noch unverbauten Ufer völlig der Natur zu überlassen werden, wenn sogar der Schutzstatus ignoriert wird ?

Als ich 9 Uhr wieder an Octopus anlege, sitzt der Seeadler noch am alten Platz. 10 Minuten später bemerke ich, dass er einfach weg ist und ärgere mich kurzzeitig, seinen Abflug verpasst zu haben. Während ich mich suchend im Luftraum umschaue, bemerke ich einen Fischadler. Um 9.22 kommt ein weißgeschwänzter und demnach adulter Seeadler zurück zur Ansammlung der kahlen Bäume, wo mittlerweile 24 Kormorane sitzen, die bei der Ankunft des Greifvogels alle auffliegen. Die Hälfte von ihnen lässt sich in gebührender Entfernung erneut nieder. Vielleicht trägt die Störung der Kormorane durch den Seeadler mit dazu bei, dass es am Seedinseee bisher noch nicht zur Ausbildung einer Brutkolonie von Kormoranen gekommen ist ? Gegen 10 Uhr begibt sich der Seeadler auf Nahrungssuche. Bei Abfahrt von Octopus um 10.50 Uhr sitzt der große Greif wieder am bekannten Platz, den Abstand wahrend haben sich 57 Kormorane beidseitig niedergelassen.

Die flüggen jungen Eisvögel sind sicher schon von den Eltern vertrieben worden sind, was nach Literaturangaben bereits 2-4 Tage nach dem Ausfliegen geschieht. Wer weiß, wie viele von den meist 7 Nestlingen überhaupt noch am Leben sind. Ich habe keinen Hinweis darauf erhalten, dass ihnen von den Eltern überlebensnotwendige Strategien "beigebracht" worden sind. Die Jungen leben gefährlich und werden nicht nur wegen ihrer auffälligen Farbe zur leichten Beute. Warum saßen sie während meiner Beobachtung eigentlich auf dem einzigen kahlen Busch, wo es daneben reichlich Deckung gab? Fehlende Erfahrung beim Fischen führen ebenfalls zu einer hohen Verlustrate. Viele Jungen verhungern oder ertrinken, bevor sie einen eigenen Fisch erbeutet haben. Jedenfalls haben diese Jungen vielleicht das entscheidende Glück mit dem Wetter. An einem hochsommerlichen Wochenende wie diesem können sie ein paar vergebliche Versuche mehr unternehmen und sogar die Gefiederpflege ein wenig vernachlässigen. Die Sonne wird's schon wieder trocknen.

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